Vorausschauende Personalgewinnung (Predictive Recruiting) oder der 105%-Bewerber

Sinnbildlich wie dieser Klee im Wald im Aufmacherbild, ist oftmals die aufwendige Suche nach dem vermeintlich richtigen, neuen Talent (Bewerber) für ein Unternehmen oder eine Abteilung bzw. ein Team.

Besonders spannend wird es dann, wenn es sich um das doch so oft gesuchte 105%-Talent handelt. Also der Super-duper-perfekte-flexible-High-Potential-Bewerber mit abgeschlossener akademischer Ausbildung, gerne Studium mit Auslandserfahrung. Sofern darstellbar mindestens zwei- bis dreisprachig fließend und langjähriger Berufserfahrung im gewünschten Fachgebiet. Die Familienplanung ist natürlich abgeschlossen und die eventuelle Kinderbetreuung ist 24/7 gewährleistet. Dabei sind die Gehaltswünsche aus den 1990er-Jahren stammend und das Alter möge doch bitte nur so um die 27,5 Jahre betragen.  ;-)

Sie finden genug solcher Bewerber (Talente) oder erhalten massig passende Bewerbungen von diesen Spezialisten? Das wäre wohl zu schön um wahr zu sein. Dann ist auch alles gut und der Beitrag wäre an dieser Stelle für Sie zu Ende bzw. muss nicht mehr gelesen werden.

Oder eben auch nicht! Wie Sie vermutlich den Großteil aller hyper-intelligenten, hart arbeitenden und allzeit lernenden Bewerber, die sich gerade aktiv oder passiv auf Jobsuche befinden nicht finden dürften. Dabei möchte ich natürlich nicht gegen tatsächlich hochbegabte Menschen wettern. Die gibt es und auch das ist wirklich gut so. Aber diese werden sich im Recruiting eher unterrepräsentiert im Emailpostfach befinden.

Worum es mir geht ist, dass die Fachkolleginnen und -kollegen aus dem Recruiting schon längst aus dem Schatten des reinen Post-and-Pray-Stellenausschreibens herausgetreten sollten oder es in einigen Unternehmen und Unternehmenskulturen bereits sind. Sofern Sie hier den HR-Recruitern entsprechende Freiheiten gewähren und mit aktuellen, sowie den wichtigen (richtigen) Informationen aus den bezogenen Fachbereichen versorgen, könnte es sogar zur Königsklasse des Recruitings kommen. Wovon ich spreche ist das "Vorausschauende Recruiting" oder "Predictive Recruiting."

Das heißt, die Fachabteilungen werden optimaler Weise bereits vor den akuten Personalengpässen mit interessanten und übereinstimmenden Kandidatenprofilen versorgt. Das bedeutet natürlich für alle daran Prozessbeteiligten - also vom CEO über den Abteilungsleiter bis hin zum Projekt- oder Teamleiter - das man sich offen austauscht und die Teams oder Mitarbeiter im Recruiting stets am Puls der Zeit in den Fachabteilungen dran sind. Je nach Betriebsgröße und/oder der entsprechenden Offenheit sitzen auch gleich HRler mit an den Verhandlungstischen. Das hätte dann auch den Vorteil, dass man ggf. im Anschluss an die Bewerbungsrunden entsprechende arbeitsrechtliche Themen besprechen kann.

Dazu zählt in meinen Augen auch, dass Recruiter darin geschult sein sollten, sich in Sozialen Netzwerken zu bewegen und immer die Augen offen zu halten, wer gerade zu meinem Unternehmen passen könnte. Wichtig ist hier auch, den 105%-Bewerber ad acta zu legen und die Personalgewinnung stets mit der Personalentwicklung zu koppeln. In vielen meiner eigenen Begegnungen mit Bewerbern ist mir immer wieder aufgefallen, dass es ggf. mal an einzelnen fachlichen oder sehr speziellen Kenntnissen bzw. deren Erfahrungslevel darin fehlte, aber dies in absehbarer Zeit direkt on the Job hätte erlernt werden können. Zumindest auch oft in den Zeitfenstern die man zur Verfügung hatte, bis der "wahre Bewerber" durch Glück oder Hartnäckigkeit zur Verfügung stand oder manchmal auch nicht. Und nicht jedes Unternehmen verfügt im übrigen über einen starken, bekannten Marktnamen oder eine historische Tradition, dass die Bewerbungen von selbst eintrudeln würden. Bei mehreren Zehntausend Bewerbungen im Jahr stellen dann die enormen Zahlen die HR-Organisation und/oder das Talentpipelining gehörig unter Prozessdruck.

Für den Fall fehlender HR-Experten und zusätzlicher Fachkräfte aus Entwicklung & Co. ist es dann gerade im Projektgeschäft eine mittlere Katastrophe, da man damit ganze Projekte gefährdet und im schlimmsten Fall erheblich Strafzahlungen riskiert. Und die positive Seite in die Investition in den 75- bis 90%-Kandidaten wird voraussichtlich eine sehr hohe Loyalität und oftmals auch ehrliche Dankbarkeit gegenüber seinem neuen Arbeitgeber sein. Womit die Fachkräftesituation bzw. der Prozessablauf wieder etwas besser abgesichert sein dürfte.

Hier schließt sich auch wieder der Kreis zum informierten und vorausschauenden Recruiter, der bei solchen Aufträgen bereits in der Vorphase oder Akquise neuer Projekte bzw. des Personalaufbaus eingeschaltet wird. Letztlich haben alle Seiten etwas von solch einem gestärkten und pro-aktiven Recruitings. Der Bewerber kann bereits im Vorgespräch mit ersten Details zur Stelle versorgt werden und der Fachbereich erhält passende oder ggf. auch "entwickelbare" Mitarbeiter zur Besetzung fehlender Fachkräftestellen. Dabei muss dies natürlich nicht nur ein Thema in der Entwicklung sein, sondern gilt auch für administrative oder kaufmännische Arbeitsaufgaben.

Letztlich stehe ich dem Fachkräftemangel auch skeptisch gegenüber und habe die Vermutung, dass man sich mehr Mühe mit dem (Social-Media-)Recruiting geben sollte oder den Recruitingteams mehr Freiheiten für Vorschläge einräumen müsste. Es gab dazu auch einen spannenden Artikel aus den USA, wie die Firma Lockheed-Martin es schafft stets die passenden Fachleute zu engagieren. Bei Linkedin wäre der Artikel im englischen Original zu lesen.  ;-)

Und jetzt sind Sie dran: suchen Sie noch Talente oder finden Sie bereits welche? Wie sind Ihre Erfahrungen im (pro-)aktiven Recruiting?

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